Die Kunst des Redens

 

Meine Stärke liegt gar nicht im Schreiben. Klar, habe ich eine gewisse Freude dabei, mich schriftlich zu formulieren. Deutsch war schon immer eines meiner Lieblingsfächer. Die Sprache ist unser Kommunikationsmittel Nummer 1. Mit ihr erwerben wir Wissen, geben es weiter, teilen Gefühle & Zuneigung, drücken Emotionen aus und teilen uns unserer Umwelt mit.

Ich liebe es, mich gewählt auszudrücken, meine Schul- und Studiennoten der Hausarbeiten sprechen im Großen und Ganzen für sich. Solange ich über abstrakte Themen schreibe, bei denen es mir hauptsächlich darum geht, meine Gedanken kunstvoll zu arrangieren, fällt mir das leicht. Je greifbarer und alltäglicher die Dinge sind, umso weniger gelingt mir das Ausdrücken. Das Schlimmste für mich sind schriftliche Erörterungen, Behauptungen, Argumentationen oder Diskussionen. Hier benötigt es Eindeutigkeit und Überzeugung mit Hilfe entsprechender Wörter und klarer grammatischer Struktur. Das kann ich nicht. Seitenweise Interpretation über literarische Werke - das liegt mir. Aber am Aufstellen einer einzigen kontroversen These als Grundlage einer Diskussion verzweifle ich. Dann bringe ich nichts auf das Papier.

 

Ich könnte noch lange über das Schreiben schreiben, aber eigentlich soll es mir um das Reden gehen. Weil meine Gedanken viel zu schnell für meine Finger sind. Wie viele unglaublich gute Gedankenansätze sind verloren gegangen, nachdem sie schon wieder dem Gedächtnis entronnen waren, als man die entsprechende Stelle, an dem man sie hätte niederschreiben können, erreichte. Oft habe ich mir gewünscht ein Diktiergerät bei Aufsätzen neben mir liegen zu haben. Im Reden ist man schneller, als im Schreiben. Ich vermute meine Stärke liegt, im Vergleich zur Gesamtbevölkerung, eher im Reden. Beim Reden kann man nichts durchstreichen, was gesagt ist, ist gesagt. Fertig. Ich erhalte relativ viel Lob für meinen Redestil: dass ich einen guten Ausdruck habe, dass ich mich gewählt formuliere, dass ich selbstsicher auftrete... Meine Deutschlehrerin sagte in der Auswertung meiner Vorträge: "Reden, das kannst du - keine Frage". Eine Kommilitonin meinte kürzlich zu mir: Man nimmt dir alles ab, was du sagst, egal was." Ich habe in der Regel keine Angst auf Menschen zuzugehen und mit ihnen zu plaudern. Manchmal sagt man mir auch, dass ich "labere". Das freut mich, weil es nicht immer so war...

 

Ich unterhielt mich mal mit einem Freund über die Frage, welche Art der Intelligenz wir besitzen. Wir waren uns schnell einig. Da wir uns ähnlich sind, fiel die Antwort auf: Die Rhetorische. Vor allem auf die des mündlichen Sprachgebrauchs...

 

Wenn ich darüber nachdenke, erstaunt mich das immer wieder. Zwar hatte ich schon eh und je Freude daran, Vorträge zu halten und vor Menschen zu reden. Ich übte meine Referate vor dem Spiegel und hatte gut gegliederte Konzepte. Ein Vortrag hat Regeln. Ich stand vorne und alle mussten mir mehr oder weniger zuhören. Mir wurde Aufmerksamkeit geschenkt. Doch fiel mir das Reden mit anderen viele Jahre meines Lebens sehr schwer. Ich konnte es nicht. Man hörte mich nicht. Man sagte mir häufig, dass man mit mir nicht Reden könne. Ich erinnere mich an ein Auswertungsgespräch eines Praktikums in der 8. Klasse. Mir wurde nahegelegt, dass ich unbedingt an meiner Kommunikationsfähigkeit arbeiten sollte. Das machte mich traurig. Ich wollte ja, aber ich konnte nicht. War ich aufgeregt oder fühlte mich unwohl, verstummte ich ganz. Und warum muss man überhaupt immer so viel Reden? War ich unkommunikativ, nur weil ich meinen Redeanteil eher minimal hielt?

Ich hatte Angst, wenn ich Leute traf, dass ich nicht wusste, was ich Reden soll. Dass ich Falsches sage und vor lauter Druck fiel mir meistens überhaupt nichts ein. Ich war still. Gesprächsstoff hatte ich nie. Unangenehme Pausen häufig.


Noch immer mag ich keinen Smalltalk. Und liebe Menschen, die die Gesprächsführung übernehmen, anstatt sie mir zu überlassen. Aber ich habe vieles gelernt. Das "aus sich heraus kommen" und "einfach fließen lassen". Das Quatschen. Und manchmal neige ich jetzt sogar dazu, viel zu viel zu reden, vor allem wenn ich aufgeregt bin. Unter dem Einfluss von Nervosität gibt es kein Halten mehr, dann sprudelt es nur so. Mein Redeverhalten hat sich also sehr verändert. Vielleicht gerade aus der Kritik und aus den Kommentaren der Vergangenheit heraus. Eine Art Bewältigung, indem ich das Gegenteil von dem mache, was für mich damals charakteristisch war. Natürlich gibt es immer noch Situationen, in denen mir das Reden schwer fällt. Ich mag keine Friseurbesuche, da ich beim Dorftratsch versage. Ich mag keine Diskussionsrunden, da ich dazu neige, mich mehr darauf zu konzentrieren wie ich es sage, anstatt was ich sage. Und mich dabei eher verwirrend und uneindeutig ausdrücke. Das ist nervig für die anderen. Ich finde es schlimm, jemanden nach dem Weg zu fragen. Ich hasse es, Essen bestellen zu müssen. Manchmal versage ich bei täglichen Gesprächssituationen und manchmal strengt mich das Reden an.

 

Aber ich habe gelernt, dass jeder Mensch das Recht hat, angehört zu werden.

 

Jeder Mensch ist wichtig genug. So wichtig, dass man ihm zuhören muss.

Jeder hat eine Meinung, das ist gut und sie ist so bedeutungsvoll, dass Andere diese anhören sollten, wenn man sie sagen möchte.

Jeder hat eine bestimmte Art und Weise zu Reden - und die ist toll, macht unsere Persönlichkeit aus und ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Dabei ist es gleich, ob man eher wenig oder viel redet, ausschmückt oder rational erzählt.

 

Ich wollte das sagen, weil ich damals das Gefühl hatte, dass man entweder Reden kann oder nicht und weil ich von mir selber meinte, viel zu unwichtig zu sein, um von den Menschen um mich herum angehört zu werden. Ich glaubte, dass die Leute, die ich für ihr Kommunikationstalent bewunderte, das eben schon immer so konnten. Und ich vermute, mir hätte es geholfen von ihnen zu wissen, dass das nicht unbedingt so sein muss.

Und manchmal ist das viele Plappern nur eine andere Art und Weise des Bewältigens.

 

Ich habe ziemlich lange überlegt, ob ich das poste. Fast zwei Wochen. Aber weil ich möchte, dass mir Menschen ihre Geschichten erzählen, muss ich mit gutem Beispiel vorangehen. Und dann habe ich es einfach gemacht.



Die Fotos hat Anna von mir im März, in der schönen Frühlingsabendsonne, aufgenommen. Sie ist eine wirklich tolle Fotografin und ich mag die Farbstimmung sehr gerne.


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Kommentare: 3
  • #1

    Anna (Dienstag, 06 Oktober 2015 14:17)

    Du hast wirklich eine besondere Begabung und kannst Menschen wunderbar unterhalten. Du füllst peinliche Schweigemomente, auch auf die Gefahr hin auch mal was blödes zu sagen. Das ist wirklich etwas besonderes. Aber es ist auch nicht schlimm mal nicht kommunikativ zu sein. Wenn du mal wieder nicht weißt was du sagen sollst, dich dann unwohl fühlst und dann befürchtest "rückfällig" zu werden ist das völlig unberechtigt, denn immerhin ist die ruhige verschlossene Persönlichkeit immer noch ein berechtigter und liebenswürdiger Teil von dir ;)

    Ach ja und du bist auch ein super Model, da ist das fotografieren leicht ♥ :)

  • #2

    Nathalie (Freitag, 09 Oktober 2015 12:24)

    Hach wie schön es ist das zu lesen. Wunderschön geschrieben.
    Ich kenne das auch...man ist neu, fühlt sich unwohl oder überfordert und plötzlich verstummt man. Bin ich aufgeregt, rede ich ohne Punkt und Komma. Letztens meinte jemand zu mir, dass man dann bei mir Bullshit-Bingo spielen könne. :D
    Aber ich denke, dass ist alles ganz normal, menschlich. Ist das nicht beruhigend? (:
    Und zuletzt ein riesen Kompliment zu den bezaubernden Bildern! :*

  • #3

    Anne (Montag, 12 Oktober 2015 15:37)

    Liebe Marie,
    toll. Einfach ganz großartig und toll!

 Die Fotografie lehrt, dass wie gut du siehst, nichts damit zu tun hat, wie gut du siehst. Autor unbekannt

 

 

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