"Embrace" - Schaffst du es, zu umarmen?

Gespiegelt

 

Manchmal.

Da traut man sich gar nicht, einander anzuschauen.

Ein zaghafter Blick, noch einer und noch einer.

Und jedes Mal treffen sich die Augen.

Mein Gegenüber ebenso zaghaft.

Doch je länger ich die Person auf der anderen Seite anschaue, umso kälter wird deren Blick.

Er fokussiert. Tastet ab. Von oben nach unten, von unten nach oben.

Ich halte dem Blick stand. Starre zurück.

Eisige blaue Augen, die mir vermitteln wollen, nicht gut genug zu sein. Die mich nicht sehen und nicht annehmen.

Die nur auf das Äußere achten.

Die mein Inneres nicht wahrnehmen.

Die nicht verstehen, dass ICH es bin, welche entgegenblickt.

Und nur meinen Körper betrachten. Und ihn abwerten.

Manchmal.

Das Gegenüber, welches dir zuflüstert, dass du schön bist.

Das Gegenüber, welches dir zuschreit, dass du hässlich bist.

Ich wende mich ab.

Und trete weg.

 

Von meinem Bild im Spiegel.

Spiegelbild.


91% aller deutschen Frauen sind mit ihrem Körper unzufrieden. 45% aller Frauen mit gesundem Gewicht denken, sie wären übergewichtig. Mehr als 40% aller 10-14 Jährigen machen regelmäßig Diät.

Quelle: Embrace

 

Ich habe am 11.Mai den Dokumentarfilm "Embrace" gesehen. Einer der besten Filme, den ich in meinem Leben je im Kino gesehen habe.

Eine Frau macht sich auf die Reise durch die Welt und sucht nach Antworten. Nach Antworten auf die Frage, warum fast alle Frauen ihren Körper ablehnen, ihn als abstoßend bezeichnen und sich so häufig mit Gedanken über Essen, Kalorien, Fitness und Diäten beschäftigen.

 

Der Film hat mich inspiriert. Tiefgreifend. Bewegend. Absolut empfehlenswert.

 

Ich habe so viele Gedanken, möchte im Rahmen dieses Posts aber nur einen zentralen Punkt des Films ansprechen. Ich würde mich über eure weiteren Meinungen zu dem Thema "Körper" in den Kommentaren sehr freuen. Viel Spaß beim Lesen.

 


Mach es oder lass es. Zähle Kalorien oder lass es. Habe ein schlechtes Gewissen bei dem täglichen Stück Kuchen oder lass es. Wünsche dir, du hättest schmalere Oberschenkel oder lass es. Schimpfe über deinen Körper oder lass es. Mache exzessiven Sport oder lass es. Verbrenne mehr Kalorien, als du zu dir nimmst oder lass es. Verzichte auf die Schokolade, weil du davon Akne bekommst, oder lass es. Wir können es einfach lassen.

Wir, wir als Frauen, legen das Schönheitsideal fest. Wir bestimmen es, indem wir die Magazine mit den 50 Kilogramm-Blondinen kaufen. Wir bestimmen es, indem wir unsere Freundinnen zum Gewichtsverlust beglückwünschen. Wir bestimmen es, indem wir abnehmen mit "gut" und zunehmen mit "schlecht" assoziieren. Wir bestimmen es, indem wir die Fitnessstars mit ihren flachen Bäuchen bei Instagram beneiden. Wir bestimmen es, indem wir die perfekten Frauen auf den Werbeplakaten als schön empfinden und uns mit ihnen vergleichen. Wir bestimmen damit das Ideal eines Frauenkörpers, da wir selbst entscheiden, was wir als schön empfinden. Warum ist dieses Ideal ein Kinderkörper, der Kurven wegtrainiert, aber gleichzeitig trotzdem einen prallen und straffen Hintern aufweisen soll?

 

Wir werden nie schlank genug, trainiert genug und gleichzeitig zierlich genug, blond genug und schön genug wie die Frau in der Sportwerbung sein. Niemals & nie. Es geht nicht. Weil es diese Frau gar nicht gibt. Sie ist bearbeitet und am Computer erstellt. Sie existiert einfach nicht. Selbst das Model ist nur die Grundlage für Photoshop und sieht in echt gar nicht so aus wie auf dem Produkt. Und dennoch haben wir alle diese Vorstellung eines schönen weiblichen und schlanken Körpers im Kopf. Wir vergleichen uns mit einem erfundenen Bild, welches wir nie erreichen werden. Und das macht uns alle fertig. Mehr oder weniger. In den meisten Fällen leider mehr.

 

Du bist schön.

Es existieren über 7 Milliarden verschiedene Körperformen auf dieser Welt. Deine ist einzigartig.

 

"Dein Körper ist ein Instrument und kein Schmuck."*

Ein Instrument zum Laufen, Lachen, Springen, Tanzen und fröhlich sein. Kein Objekt, mit dem sich ein Mann schmückt. Kein Objekt, das unsere Identität bestimmt. Wir sind mehr als Beine, Arme, Bauch und Schenkel.

 

Heute morgen stand ich vor dem Spiegel und dachte: Eigentlich geht es doch. Es ist doch alles in Ordnung. Ganz gut sogar. Vielleicht komme ich irgendwann an den Punkt, an dem ich mir zurufen kann: Ich bin wunderbar gemacht. Ich bin schön. Mein Körper ist toll. Nach dem Film bin ich optimistischer als vor dem Film. Und das nur, weil ich einmal im Fernsehen verschieden geformte Frauen gesehen habe. Weil "normale" Frauen für 90 Minuten mein Vorbild waren. Wie "einfach" wäre es, diese Perspektive immer zu vermitteln? Das funktioniert jedenfalls nicht mit einem Trailer vor "Embrace", indem eine etwas fülligere Frau (im Vergleich zu den anderen Schauspielerinnen) einen Mann tötet, weil sie auf ihn fällt und ihn dabei erdrückt.

Natürlich hatte der Film auch kleine Schwachstellen. Es wurde häufig erwähnt, dass der Körper nach der Schwangerschaft anders ist. Dass Brüste hängen dürfen, weil sie Kinder ernähren. Dass Streifen da sein dürfen, weil das Baby Platz im Bauch braucht. Aber: Brüste dürfen auch so hängen, Streifen auch ohne Schwangerschaft da sein. Der Körper leistet Großartiges, auch wenn wir niemals ein Baby zur Welt bringen werden. Man braucht die Schwangerschaft nicht als Entschuldigung. (Ich denke nicht, dass der Film die Aussage transportiert hat, dass man erst als Mutter ein Recht auf einen nicht perfekten Körper hat. Der Hinweis meiner Schwester ließ mich aber noch einmal über diesen Aspekt nachdenken.)

 

Ein paar weiterführende Fragen schwirren noch in meinem Kopf umher.

  • Wie verändert sich das Frauenbild durch die Medien für die Männer? Rechnen sie mit dem festen Körper unter der Kleidung? Ist das deren Vorstellung von einem "normalen" Frauenkörper?
  • Was werden wir als Fitnessgeneration und eventuell zukünftige Mütter unseren Töchtern vermitteln? Wird alles noch schlimmer? Wird es noch etablierter sein, eine Diät zu machen als es heute schon ist? Oder schaffen wir es, aus unseren Erfahrungen zu lernen und eine stärkere Frauengeneration heranwachsen zu lassen?
  • Warum fällt es uns so schwer, die natürliche Entwicklung des jugendlichen Körpers hin zu Rundungen und Weichheit, die Frauen ausmachen, zu akzeptieren?
  • Warum wünschen wir uns einen flachen Bauch, wenn wir sowieso altern und er biologisch gesehen nur bis maximal 40 so aussehen kann?

Es bleibt noch viel zu sagen. Am liebsten würde ich jetzt sämtliche Fitness-Apps und Kalorienzähler von meinem Smartphone löschen. Wenn ich welche hätte. Denn glücklicherweise habe ich gar keine installiert*. Weil ich weiß, dass das schlecht für mich enden könnte. Weil es gefährlich werden könnte. Weil alles im Kleinen anfängt. Und sich dann steigern kann. Wie eine Sucht. Ich bin anfällig dafür.

 

Lasst uns das doch einfach beenden!

 

* Zitat: Embrace*Runtastic mal ausgenommen

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Kommentare: 2
  • #1

    Nathalie (Dienstag, 16 Mai 2017 19:16)

    Sehr inspirierend und ein tolles Thema!
    Es ist so wichtig, dass wir endlich mal beginnen unseren Körper zu lieben. Nein, eigentlich nicht nur unseren Körper - unser ganzes 'Sein' mit unseren Macken, Fähigkeiten, Vorlieben für die kleinen Dinge und natürlich auch dem Körper, der mein Inneres umspielt.
    Allein weil wir als Gottes kleine Kunstwerke geschaffen wurden, sind doch alle wunderschön. Jeder auf seine Weise. (:

  • #2

    Anna (Samstag, 20 Mai 2017 15:15)

    Der Film war wirklich inspirierend und hat mich berührt. Ebenso wie dein Text und jeder Körper ist schön weil er einzigartig ist... Da hast du viele wahre Worte gesagt und ich hoffe sehr das es in den Generationen nach uns wieder mehr um das innerliche als das äußere geht. Niemand sollte sich quälen müssen nur weil er nicht aussieht wie (vermeintlich) alle anderen.

 Die Fotografie lehrt, dass wie gut du siehst, nichts damit zu tun hat, wie gut du siehst. Autor unbekannt

 

 

My portraits are more about me than they are about the people I photograph.

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Das Auge macht das Bild, nicht die Kamera.

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Ein Photo sagt nicht länger die Wahrheit. Es schlägt nur eine Möglichkeit vor.

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