Auf die Plätze, fertig, los...

Ich war ein sportliches Kind. Ich bin auf dem Dorf und in einer Generation aufgewachsen, in der man sich mit Freunden zum Ballspielen und Verstecken getroffen hat. Wir waren fast jeden Tag draußen. Auf den Hofpausen war Fangen und viel Rennen angesagt und nachmittags habe ich mir meine beste Freundin eingeladen, um die gelernten Schritte der Tanz-AG zu wiederholen.

Im Schulsport war ich die Beste im Zweifelderball.

Ich agierte als Vorturnerin beim Geräteturnen. Der Sprung auf den Schwebebalken galt als mein Spezialgebiet.

Ich hatte Spaß an Bewegung.

   

Welche mir dann abhanden kam.

Die Pubertät. Der Leistungsdruck im Sportunterricht.

 

Ich konnte meine länger werdenden Gliedmaßen nicht mehr kontrollieren. Fühlte mich schwach. Vertraute meinen Armen beim Handstand nicht mehr. Ich hatte Angst, dass sie einknicken und ich auf meinem Kopf landen würde. Ich war lange Zeit diejenige, die jedes Mal als Vorletzte in das Team gewählt wurde. Diejenige die mit rotem Kopf schüchtern darauf wartete, einen Partner für Paarübungen zu finden, um schließlich mit der Sportlehrerin Vorlieb nehmen zu müssen.

Ich verlor die Freude an Bewegung. Sport ist Mord - das war meine Devise. Einen Bezug zu meinem Körper hatte ich nicht. Es war mir fast schon gleichgültig, dass ich zwar schlank war - aber dafür auch schlapp, schlaff und ohne Muskeln...

 

Den Höhepunkt der Demotivation erreichte dann ein ganz "besonderer" Sportlehrer. Bei der Aufwärmung wurde mir einmal so übel, dass ich in die Umkleidekabine gekrochen bin und mir schwarz vor Augen wurde. Ich hatte Angst vor ihm und was die Konsequenz ist, wenn ich nicht durchhalte. Für meine Unsportlichkeit war das zu viel...und so lag ich da ganz alleine auf dem Boden und fragte mich: Wie kann Sport Spaß machen, wenn das stechende Gefühl in deiner Lunge jede Freude überdeckt? Wenn Bewegung immer mit Leistungsdruck einhergeht? Wenn man sich beim Weitsprung den Unterschenkel verzerrt und seine Arme drei Tage nach der Klimmzugkontrolle im Schräghang nicht mehr durchdrücken kann, weil es schmerzt? Wenn Sport keine Entspannung bringt, sondern Demütigung? Besagter Sportlehrer rief mich in einer Stunde nach vorne, ich sollte gymnastische Übungen zur Erwärmung vor der ganzen Klasse vormachen. Vor Aufregung fiel mir natürlich Keine ein. In diesem Moment erhielt ich den wohl unpädagogischsten Kommentar meiner gesamten Schulkarriere. "Und du willst Abitur machen?" Ähm...seit wann setzt man Sportlichkeit mit Intelligenz gleich?   

Glücklicherweise ging dieser bald in Rente.

 

Mein neuer Sportlehrer verstand es mich zu loben und zu motivieren. Ich fing in meiner Freizeit an, mich wieder ab und an zu bewegen. Leider hielt dies nicht lange an. 2013 begann ich mit dem Studium, die verpflichtenden Sportstunden fielen weg, es war Winter und ich machte nicht freiwillig Sport. Der Eindruck, dass dieser keinen Spaß macht, hat sich einfach zu sehr in mein Gedächtnis eingeprägt. Mit Folgen.

Ich konnte meine Einkäufe kaum in mein Stockwerk tragen, musste beim Wasser tragen fast weinen und bekam wieder unglaubliche Rückenschmerzen, mit denen ich seit ich 14 bin zu kämpfen habe. Ich war einfach schwach. 

An Weihnachten wurde mir dann schmerzlich bewusst, dass ich keine Rückenmuskulatur habe, die die Bandscheiben an ihren Platz hält und Stabilität bringt. Ich konnte eines morgens nicht mehr Aufstehen. Mein Rücken schmerzte so sehr, dass ich ihn nicht mehr bewegen konnte. Mir gelang es kaum auf Toilette zu gehen und ich lag nur noch im Bett. Da bekam ich Angst. Ich war noch keine 20 Jahre alt und unsportlicher als meine Oma. (Kein Witz) Ich weiß nicht mehr genau, was mein Arzt sagte, aber er riet mir dringend dazu, mich mehr zu bewegen. Anfangen Sport zu machen. Rückengymnastik.

Mein Körper gab ein Warnsignal.

 

So kam es, dass ich in meinem ersten Sommersemester einen Sportkurs an der Uni buchte. Gemeinsam mit einer Freundin, deren Rücken auch nicht gerade freundlich zu ihr ist. Das ist, was mich motivierte. Alleine hätte ich das vielleicht nie gemacht, aber gemeinsam gelingt die Motivation besser. Die ersten Wochen musste ich mich nach einer Stunde Gymnastik in mein Bett legen, weil meine Ausdauer so schlecht war. Die ersten Wochen Sport, nach fast einem Jahr, waren hart. Keine Übung hielt ich durch. Aber es wurde besser. Mit Rückengymnastik verschwindet ein Großteil der Beschwerden.

Freundinnen gingen mit mir joggen. Seit langer Zeit gelang es mir durchzuhalten und einen erfolgreichen Jogging Versuch zu starten. Nicht beim ersten Stechen der Beine aufzuhören, sondern den kleinen "Krampf", das Ziehen der Muskeln, durch weiterlaufen zu lösen und nicht aufzugeben. Mein Sportpensum steigerte sich auf einmal, zweimal, dreimal pro Woche. Weil es mir Spaß macht. Weil ich mich gut dabei fühle. Nie konnte ich verstehen, dass Viele Sport als ihren Ausgleich und ihre Entspannung sehen. Zunächst war mein Antrieb, meine Ausdauer zu verbessern und mein Gewicht zu halten. (Ach ja die Sache mit der Figur...)

Aber nach fast zwei Jahren des regelmäßigen Sporttreibens, kann ich sagen: Genau das ist es. Ich ging mit Freundinnen ins Fitness-Studio, mit dem Gedanken die merkwürdig anmutenden Geräte nur für ein Probetraining zu nutzen. Nie hätte ich gedacht, dass ich mich anmelden werde. Mich entspannt vor allem das gleichmäßige Klappern der Gewichte, das monotone Laufen auf dem Laufband ohne nachzudenken. Und das ist, was mich begeistert, wenn ich Sport mache sind das die einzigen Stunden, an denen mein Kopf Pause macht. Dann denke ich nicht nach, was ich viel zu viel tue. Im Fitness-Studio muss man nicht mal darauf achten, ob ein Auto kommt. Man kann sich ganz allein auf sich und seine Muskeln konzentrieren. Dann komme ich abends nach Hause und mein Gehirn ist ausschließlich damit beschäftigt zu denken, dass mein Körper voll fertig ist. Das heißt, ich dusche, lege mich ins Bett und genieße die Müdigkeit, die mich sofort einschlafen lässt.

Die Fotos sind vom goldenen Herbst und ich habe noch lange Haare. Ich fand es schade, sie auf der Festplatte verstauben zu lassen.

 

Fotos: Anna

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Nathalie (Dienstag, 19 Januar 2016 22:35)

    Haha ein Glück ging der besagte Sportlehrer in Rente. :D

  • #2

    Laura (Mittwoch, 12 April 2017 22:30)

    Das berührt mich gerade mega.
    Marie du kannst soooo stolz auf dich sein!!! Wenn du an die Zeit zurück denkst, in der du so schwach warst, wie du schreibst und jetzt siehst, was du alles schaffst! Das Training für den Halb-Marathon, was du nicht aufgibst auch wenn mal Trainingseinheiten dazwischen sind, die dich nciht zufrieden stellen.. du machst weiter und das ist das wichtigste. Du machst so viel Sport, bist aktiv und auf keinen Fall schwach oder faul. Du bist eine starke Frau (das klingt voll erwachsen, hihihi) und das hast du dir hart erarbeitet.
    Ich bin gerade richtig sauer auf diesen Sportlehrer. Der sollte sich nicht fragen, wie du dein Abi schaffen solltest, sondern wie er Lehrer werden konnte..
    Ich hab gerade unser wenn-gar-nichts-mehr-geht-motivationslied im Kopf "and I don't really care if nobody else believes - cause I still got a lot oft fight left in me".. das passt total zu deiner Situation :) Sei stolz auf dich, du hast schon so viel geschafft und bist schon eine richtige Sportlerin :)
    Oh man mein Kommentar hat bald schon die Länge für einen eigenen Blogeintrag, aber das muss an dieser Stelle mal gesagt werden, weil du doch meine beste Sportsfreundin bist :) :*

 Die Fotografie lehrt, dass wie gut du siehst, nichts damit zu tun hat, wie gut du siehst. Autor unbekannt

 

 

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